2016
1797 bis 1820- 23 Jahre bitterer Streit im Dorf
Januar 1798:   “Guter Rat ist teuer” - der Streit weitet sich aus. Die ablehnende Entscheidung der Regierung zu Stade spornt den Widerstand der Schwalinger Reiheleute gegen die von der Obrigkeit betriebene Ansetzung von 4 weiteren Neubauer in ihrem Dorf heftig an. Sie nehmen sogar "Geld in die Hand" und beauftragen den Rechtsanwalt Dr.H.Eitzen, ihre Interessen gegenüber der Obrigkeit zu vertreten. Dr.H. Eitzen verfasst einen umfangreichen Schriftsatz an die "Regierung der Herzogthümer Bremen und Verden zu Stade", in dem er die Argumente der Schwalinger Reiheleute ausführlich darlegt und ihre Erwartungen, ihr Anliegen bekräftigt. Dieses Dokument beschreibt aber auch deutlich das über Jahrhunderte gewachsene Selbst-Verständnis der Reiheleute von Recht und Rechten in ihrem Dorf  und gibt Einblick in die rechtliche und soziale Lage der unterbäuerlichen Bewohner des Dorfes, die nicht als Mitglieder der Dorfschaft gelten und der Duldung durch die Reiheleute unterliegen. Vielleicht hatte man auch in Schwalingen schon von der Revolution der Bürger in Frankreich gehört, die 5 Jahre zuvor, 1792, das alte gesellschaftliche System zerbrach und Staat und Bürger unter das Grundrecht "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" stellte ? Vielleicht war es auch das Gespür der Schwalinger Reiheleute und der landbesitzlosen Häuslinge, dass es bei dieser Auseinandersetzung um die Ansetzung der Neubauer um mehr geht, als um 4 weitere kleine Anbaustellen im Dorf: Während die einen die alte Ordnung zu schützen versuchen - sie mag nicht immer und für jeden bequem sein, aber sie ist verlässlich und gibt der Dorfgemeinschaft Halt -, fordern die anderen die traditionellen Rechte und gewachsenen Machtstrukturen heraus, die ihnen ein besseres Los verwehren. Das könnte die Heftigkeit und Zähigkeit erklären, mit der dieser Streit zwischen den drei beteiligten Parteien geführt wird, den Schwalinger Reiheleuten, den 4 neu angesetzten Neubauer und der kurfürstlichen Obrigkeit. Am 14.Januar 1798 nun legt Rechtsanwalt Dr.H. Eitzen im Namen der Schwalinger Reiheleute Widerspruch bei der Regierung zu Stade gegen deren Entscheidung ein und bittet, die getroffene Entscheidung wieder aufzuheben oder zumindest auszusetzen, bis über den begründeten Widerspruch der Schwalinger Reiheleute entschieden sein wird. Und er stellt gleich die Objektivität der Beamten in Neuenkirchen und Rotenburg, des Amtsvogts Crome und des Ober-Amtmanns Hintze in Frage: "Den Amts-Acten des Amts Rotenburg trauen wir nicht und müssen glauben, dass dasjenige, was uns darin entgegengesetzt wird, von dem Herrn Amtsvogt Crome herstammt, weil das Amt wahrscheinlich von selbigem den eigentlichen Verhalt der Sache und die Beschaffenheit unseres Dorfes mit den Gemeinheits-Plätzen erkundigt haben wird. Alles, was aber von demselbigen herstammt, können wir aus triftigen Gründen nicht gegen uns gelten lassen." Den Vorwurf der Regierung, dass die Schwalinger Reiheleute eigenmächtig und ohne obrigkeitliche Genehmigung Land aus der Gemeinheit für sich aufgebrochen und kultiviert hätten, weist Rechtsanwalt Dr. H.Eitzen mit dem Argument zurück, dass es doch der Wunsch der Regierung zu Stade selbst sei, dass die Gegenden urbar gemacht und in Kultur genommen werden, worauf doch auch die obrigkeitlich so dringlich empfohlenen Gemeinheits-Teilungen abzielten. Und wenn dann eine Kommission, wie es der Wunsch der Schwalinger Dorfschaft ist, die Gemeinheiten zwischen Schwalingen und den umliegenden Dorfschaften aufgeteilt hätte, würde sich finden, "dass der verbleibende Platz der Schwalinger Gemeinheit so gering ist, dass wir gewiss nur sehr eingeschränkte Weide für unser eigenes Vieh haben, als ohne unsern größten Schaden und Ruin nicht noch 4 Neubauer aufnehmen können." Auch das Argument des Amtes Rotenburg, dass die zur Ansetzung als Neubauer angenommenen Häuslinge schon seit Jahren gegen Entrichtung eines Grasgeldes an die Dorfschaft ihr Vieh in der Gemeinheit ohne Widerspruch der Reiheleute haben weiden lassen, wollen die Schwalinger Reiheleute so einfach nicht gelten lassen und lassen ihren Anwalt Dr.H. Eitzen der Stader Regierung ihr Rechtsverständnis gegenüber den Häuslingen erklären: "Wenn wir zu Zeiten von den Häuslingen in unserem Dorf ein oder anderes Stück Vieh für Geld in unsere Gemeinde-Weide aufgenommen haben, so ist solches doch keine Schuldigkeit für uns gewesen, also kann hier auch auf einen desfalls nicht geschehenen Widerspruch nicht gesehen werden. Es hat von unserer Willkür abgehangen, ob und wie viel Vieh wir von den Häuslingen in unserer Gemeinheit gegen ein verhandeltes Grasgeld aufnehmen wollten und wir konnten die Zahl nach den verschiedenen Jahres-Zeiten, ob nämlich viel Gras wachsen würde oder nicht, bestimmen und hatten dabei die Macht, wenn wir für unser Vieh das Gras selbst nötig hatten, kein anderes Vieh aufzunehmen. So, wie wir bei Häuslingen es auch jedes Jahr in unserer Macht hatten, ihnen die Heuer aufzusagen, da dann auch das Treiben des Viehs in unsere Gemeinheit von selbst aufhören musste - anderer vielfacher Nutzung der Gemeinheit nicht zu gedenken, die den Häuslingen doch auf keine Weise verstattet wurde, die aber den Neubauer nicht würde versagt werden können." Abschließend wiederholen die Schwalinger Reiheleute ihre Bitte an die Regierung zu Stade, dass die Gemeinheits-Teilung zwischen ihrer und den sie umgebenden Dorfschaften obrigkeitlich vorgenommen werden und zu diesem Zweck der Amtmann Schade zu Zeven als Commissar eingesetzt werden möge. Dabei werde sich auch ergeben, "ob es wohl ohne unseren größten Schaden geschehen könne, dass bei unserer Dorfschaft noch 4 Neubauer angesetzt werden." Bis das Ergebnis der Teilungs-Commission vorliegt, so lassen die Schwalinger Reiheleute ihren Anwalt Dr.H.Eitzen ihren Widerspruch mit dem Antrag an die Stader Regierung abschließen, möge sie das Amt Rotenburg anweisen, die Ansetzung der 4 Neubauern in Schwalingen auszusetzen. Offenbar hat sich die Regierung der Herzogtümer Bremen und Verden zu Stade sofort mit der Beschwerde befasst, die der Rechtsanwalt Dr.H.Eitzen im Namen und Auftrag der Schwalinger Reiheleute gegen die beabsichtigte Ansetzung von weiteren 4 Neubauern in ihrer Dorfschaft eingelegt hat. Denn schon am folgenden Tag, am 15.Januar 1798 ergeht deren Anweisung an das Amt Rotenburg: Zwar kann der Bitte der Schwalinger Reiheleute, eine Commission  zur Teilung der Gemeinheiten einzurichten, nicht gefolgt werden, weil die Teilung der Gemeinheiten zwischen Schwalingen und den umliegenden Dorfschaften nur "von Amts wegen" eingeleitet werden kann. Aber bis dahin und bis sich daraus ergeben hat, ob genügend Platz für die Ansetzung der 4 weiteren Neubauer in der zukünftigen Schwalinger Gemarkung vorhanden ist, solle das Amt Rotenburg "mit der Landzuweisung an die 4 weiteren Neubauer nicht fortfahren. Und wo das vielleicht schon geschehen sein sollte,  mit dessen Befriedung und Bebauung nicht begonnen werden." In diesem Sinne möge das Amt Rotenburg die Dorfschaft Schwalingen und die 4 Inte- ressenten von diesem Beschluss der Regierung zu Stade in Kenntnis setzen. Es scheint, als habe der Widerspruch der Schwalinger Reiheleute zum Erfolg in ihrem Sinne geführt und sich der Einsatz ihres Geldes für den Rechtsanwalt Dr. H.Eitzen gelohnt.
4
Aus alten Akten  des Heidesdorfes Schwalingen
A A A