1797 bis 1820- 23 Jahre
bitterer Streit im Dorf
Januar 1798:
“Guter Rat ist teuer” - der Streit weitet sich aus.
Die ablehnende Entscheidung der Regierung zu Stade spornt den Widerstand der
Schwalinger Reiheleute gegen die von der Obrigkeit betriebene Ansetzung von 4 weiteren
Neubauer in ihrem Dorf heftig an. Sie nehmen sogar "Geld in die Hand" und beauftragen
den Rechtsanwalt Dr.H.Eitzen, ihre Interessen gegenüber der Obrigkeit zu vertreten.
Dr.H. Eitzen verfasst einen umfangreichen Schriftsatz an die "Regierung der
Herzogthümer Bremen und Verden zu Stade", in dem er die Argumente der Schwalinger
Reiheleute ausführlich darlegt und ihre Erwartungen, ihr Anliegen bekräftigt.
Dieses Dokument beschreibt aber auch deutlich das über Jahrhunderte gewachsene
Selbst-Verständnis der Reiheleute von Recht und Rechten in ihrem Dorf und gibt
Einblick in die rechtliche und soziale Lage der unterbäuerlichen Bewohner des Dorfes, die
nicht als Mitglieder der Dorfschaft gelten und der Duldung durch die Reiheleute
unterliegen.
Vielleicht hatte man auch in Schwalingen schon von der Revolution der Bürger in
Frankreich gehört, die 5 Jahre zuvor, 1792, das alte gesellschaftliche System zerbrach und
Staat und Bürger unter das Grundrecht "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" stellte ?
Vielleicht war es auch das Gespür der Schwalinger Reiheleute und der landbesitzlosen
Häuslinge, dass es bei dieser Auseinandersetzung um die Ansetzung der Neubauer um
mehr geht, als um 4 weitere kleine Anbaustellen im Dorf: Während die einen die alte
Ordnung zu schützen versuchen - sie mag nicht immer und für jeden bequem sein, aber
sie ist verlässlich und gibt der Dorfgemeinschaft Halt -, fordern die anderen die
traditionellen Rechte und gewachsenen Machtstrukturen heraus, die ihnen ein besseres
Los verwehren. Das könnte die Heftigkeit und Zähigkeit erklären, mit der dieser Streit
zwischen den drei beteiligten Parteien geführt wird, den Schwalinger Reiheleuten, den 4
neu angesetzten Neubauer und der kurfürstlichen Obrigkeit.
Am 14.Januar 1798 nun legt Rechtsanwalt Dr.H. Eitzen im Namen der Schwalinger
Reiheleute Widerspruch bei der Regierung zu Stade gegen deren Entscheidung ein und
bittet, die getroffene Entscheidung wieder aufzuheben oder zumindest auszusetzen, bis
über den begründeten Widerspruch der Schwalinger Reiheleute entschieden sein wird.
Und er stellt gleich die Objektivität der Beamten in Neuenkirchen und Rotenburg, des
Amtsvogts Crome und des Ober-Amtmanns Hintze in Frage:
"Den Amts-Acten des Amts Rotenburg trauen wir nicht und müssen glauben, dass dasjenige, was
uns darin entgegengesetzt wird, von dem Herrn Amtsvogt Crome herstammt, weil das Amt
wahrscheinlich von selbigem den eigentlichen Verhalt der Sache und die Beschaffenheit unseres
Dorfes mit den Gemeinheits-Plätzen erkundigt haben wird. Alles, was aber von demselbigen
herstammt, können wir aus triftigen Gründen nicht gegen uns gelten lassen."
Den Vorwurf der Regierung, dass die Schwalinger Reiheleute eigenmächtig und ohne
obrigkeitliche Genehmigung Land aus der Gemeinheit für sich aufgebrochen und
kultiviert hätten, weist Rechtsanwalt Dr. H.Eitzen mit dem Argument zurück, dass es doch
der Wunsch der Regierung zu Stade selbst sei, dass die Gegenden urbar gemacht und in
Kultur genommen werden, worauf doch auch die obrigkeitlich so dringlich empfohlenen
Gemeinheits-Teilungen abzielten. Und wenn dann eine Kommission, wie es der Wunsch
der Schwalinger Dorfschaft ist, die Gemeinheiten zwischen Schwalingen und den
umliegenden Dorfschaften aufgeteilt hätte, würde sich finden,
"dass der verbleibende Platz der Schwalinger Gemeinheit so gering ist, dass wir gewiss nur sehr
eingeschränkte Weide für unser eigenes Vieh haben, als ohne unsern größten Schaden und Ruin
nicht noch 4 Neubauer aufnehmen können."
Auch das Argument des Amtes Rotenburg, dass die zur Ansetzung als Neubauer
angenommenen Häuslinge schon seit Jahren gegen Entrichtung eines Grasgeldes an die
Dorfschaft ihr Vieh in der Gemeinheit ohne Widerspruch der Reiheleute haben weiden
lassen, wollen die Schwalinger Reiheleute so einfach nicht gelten lassen und lassen ihren
Anwalt Dr.H. Eitzen der Stader Regierung ihr Rechtsverständnis gegenüber den
Häuslingen erklären:
"Wenn wir zu Zeiten von den Häuslingen in unserem Dorf ein oder anderes Stück Vieh für Geld
in unsere Gemeinde-Weide aufgenommen haben, so ist solches doch keine Schuldigkeit für uns
gewesen, also kann hier auch auf einen desfalls nicht geschehenen Widerspruch nicht gesehen
werden. Es hat von unserer Willkür abgehangen, ob und wie viel Vieh wir von den Häuslingen in
unserer Gemeinheit gegen ein verhandeltes Grasgeld aufnehmen wollten und wir konnten die
Zahl nach den verschiedenen Jahres-Zeiten, ob nämlich viel Gras wachsen würde oder nicht,
bestimmen und hatten dabei die Macht, wenn wir für unser Vieh das Gras selbst nötig hatten,
kein anderes Vieh aufzunehmen. So, wie wir bei Häuslingen es auch jedes Jahr in unserer Macht
hatten, ihnen die Heuer aufzusagen, da dann auch das Treiben des Viehs in unsere Gemeinheit
von selbst aufhören musste - anderer vielfacher Nutzung der Gemeinheit nicht zu gedenken, die
den Häuslingen doch auf keine Weise verstattet wurde, die aber den Neubauer nicht würde
versagt werden können."
Abschließend wiederholen die Schwalinger Reiheleute ihre Bitte an die Regierung zu
Stade, dass die Gemeinheits-Teilung zwischen ihrer und den sie umgebenden
Dorfschaften obrigkeitlich vorgenommen werden und zu diesem Zweck der Amtmann
Schade zu Zeven als Commissar eingesetzt werden möge. Dabei werde sich auch ergeben,
"ob es wohl ohne unseren größten Schaden geschehen könne, dass bei unserer Dorfschaft noch 4
Neubauer angesetzt werden."
Bis das Ergebnis der Teilungs-Commission vorliegt, so lassen die Schwalinger Reiheleute
ihren Anwalt Dr.H.Eitzen ihren Widerspruch mit dem Antrag an die Stader Regierung
abschließen, möge sie das Amt Rotenburg anweisen, die Ansetzung der 4 Neubauern in
Schwalingen auszusetzen.
Offenbar hat sich die Regierung der Herzogtümer Bremen und Verden zu Stade sofort
mit der Beschwerde befasst, die der Rechtsanwalt Dr.H.Eitzen im Namen und Auftrag der
Schwalinger Reiheleute gegen die beabsichtigte Ansetzung von weiteren 4 Neubauern in
ihrer Dorfschaft eingelegt hat. Denn schon am folgenden Tag, am 15.Januar 1798 ergeht
deren Anweisung an das Amt Rotenburg:
Zwar kann der Bitte der Schwalinger Reiheleute, eine Commission zur Teilung der
Gemeinheiten einzurichten, nicht gefolgt werden, weil die Teilung der Gemeinheiten
zwischen Schwalingen und den umliegenden Dorfschaften nur "von Amts wegen"
eingeleitet werden kann. Aber bis dahin und bis sich daraus ergeben hat, ob genügend
Platz für die Ansetzung der 4 weiteren Neubauer in der zukünftigen Schwalinger
Gemarkung vorhanden ist, solle das Amt Rotenburg
"mit der Landzuweisung an die 4 weiteren Neubauer nicht fortfahren. Und wo das vielleicht
schon geschehen sein sollte, mit dessen Befriedung und Bebauung nicht begonnen werden."
In diesem Sinne möge das Amt Rotenburg die Dorfschaft Schwalingen und die 4 Inte-
ressenten von diesem Beschluss der Regierung zu Stade in Kenntnis setzen.
Es scheint, als habe der Widerspruch der Schwalinger Reiheleute zum Erfolg in ihrem
Sinne geführt und sich der Einsatz ihres Geldes für den Rechtsanwalt Dr. H.Eitzen
gelohnt.
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Aus alten Akten
des Heidesdorfes Schwalingen
A A A