1835 - Das Unglück schläft nicht.
Es ist Sommer in Schwalingen, der 12.August 1835. Früh morgens
um 5 Uhr verabschiedet sich der 40jährige Neubauer Hinrich
Christoph von Fintel von seiner Familie und macht sich auf den Weg
nach Wolterdingen. Er hat in seiner großen Kiepe Holzwaren, Löffel
und Schleefs, mit denen er dort handeln will, um das Familien-
einkommen aufzubessern. Der Weg ist weit, er wird erst spät am
Abend wieder in Schwalingen zurück sein.
Zurück bleibt auf der 1797 gegründeten Neubauerstelle ganz am nördlichen Rand der Dorfschaft Schwalingen, am
"Moorflath", Hinrich Christoph von Fintels Familie: Seine 39jährige Ehefrau Catharine Engel, geborene Baden aus Delmsen,
und die 3 Kinder der Familie, Anna Maria, 10 Jahre alt, Friedrich Christoph, 5 Jahre alt und Hinrich Christoph, 3 Jahre alt.
Eigentlich ein Tag wie jeder andere.
Der Alltag nimmt auf der Neubauerstelle seinen Lauf. Tochter Maria führt die beiden Kühe auf die Gemeinde-Weide und hütet
sie dort den Vormittag über. Für Catharine Engel von Fintel ist heute Waschtag, eine kleine Wäsche von Leinenzeug ist
angesetzt.
Gegen 11Uhr kehrt Maria mit den beiden Kühen von der Weide nach Hause zurück. Catharine Engel von Fintel bereitet nun das
Mittagessen für sich und ihre drei Kinder. Auf den übrig gebliebenen Holzkohlen des Feuers, das sie am Morgen zum
Wäschekochen auf dem Herd gemacht hatte, backt sie nun einen Buchweizenpfannkuchen.
Nach dem Essen hängt Catherine Engel von Fintel über den Holzkohlen des Herdes einen weiteren Kessel mit Wäsche zum
Kochen auf. Dann setzt sie sich mit den Kindern vor die Haustür zum Nähen.
Es ist gegen 4Uhr nachmittags als Tochter Maria wieder mit den beiden Kühen auf die Gemeinde-Weide zieht. Kurz darauf
geht Catharine Engel von Fintel mit ihren beiden Jungen zu einem Besuch auf die nachbarliche Hofstelle von Neubauer Hinrich
Christopher Hoops. Bevor sie ihre Hofstelle verlässt schließt sie die beiden nach Westen bzw. Osten gelegenen Nebentüren des
Hauses und die nach Süden gelegene "Missendör". Es geht ein scharfer Westwind an diesem Tag.
Das Unglück.
Kaum ist Catharine Engel von Fintel eine viertel Stunde auf der Hoops'schen Hofstelle,
da kommt Hinrich Christopher Hoops ins Haus und benachricht sie, dass ihr Haus
brenne. Beide laufen hinüber und finden das Haus schon in vollen Flammen. Ein
Schwein, ein jähriges Kalb und eine Henne mit fünf Küken verbrennen. Die gesamte
Hab und Gut, Kleidung, das Leinen und die Möbel der Familie von Fintel werden ein
Raub der Flammen. Sie besitzen nun nur noch die beiden Kühe, die während des
Brandes von Maria auf der Gemeinde-Weide gehütet wurden und die Kleidung, die sie
am Leibe hatten… und eine kleine Lade, die hinten aus dem Hause gerettet werden
konnte: Sie ist zwar angebrannt, aber ihr Inhalt noch unversehrt - die Papiere der
Familie von Fintel, darunter auch der Brandcassen-Schein über die vor 38 Jahren
abgeschlossene Gebäude-Versicherung über 100 Thaler.
Auf seinem Rückweg nach Schwalingen am Abend erfährt Hinrich Christoph von Fintel
schon in Ilhorn, dass sein Haus abgebrannt sei. Um 8Uhr trifft er dann endlich auf
seiner Hofstelle ein und findet seine Frau und die Kinder in Schrecken und Betrübnis.
Das Haus von Hinrich Christoph von Fintel ist gänzlich eingeäschert. Von dem noch auf
der Brandstelle liegenden abgebrannten Holz ist für einen Wiederaufbau nichts zu
gebrauchen. Die Bäume, die um das Haus herum stehen, sind durch die Flammen stark
beschädigt. Aber sie haben dazu beigetragen, dass das Feuer sich nicht durch Funkenflug
noch weiter ausbreiten konnte. Aber die tätige Hilfe der Schwalinger Feuerspritze und die
herbeigeeilte Große und Kleine Feuerspritze sowie 2 Wasserwagen der benachbarten
Neuenkirchener Feuerwehr konnten nicht verhindern, dass nun die Neubauerstelle von
Hinrich Christoph von Fintel und seiner Famie in Schutt und Asche liegt.
Amtliche Untersuchung.
Zwei Tage nach dem Brand, am 14.Augst 1835, trifft Johann Heinrich Christian
Wehber auf der abgebrannten Neubauerstelle ein. Er ist seit diesem Jahr Amtmann
des Amtes Rotenburg, zu dessen Bezirk das Kirchspiel Neuenkirchen und damit das
Dorf Schwalingen gehört. Auch der Schwalinger Bauernvoigt Peter Behnemann und
einige Schwalinger Einwohner sind zugegen. Amtmann Wehber besichtigt die
Brandstelle und stellt dann eine eingehende Untersuchung über die Entstehung des
Feuers an.
Die Zeugen werden unter ernstlicher Erinnerung zur Wahrheit vernommen. Aber
weder Hinrich Christoph von Fintel noch sein Nachbar Hinrich Christoph Hoops
können Angaben zur Entstehung des Brandes machen. Und Catharine Engel von Fintel
sagt aus, dass sie beim Verlassen der Hofstelle um ihre Nachbarn zu besuchen, nichts
von einem Brande bemerkt habe. Sie kann auch beim besten Willen die Ursache des
Brandes nicht angeben. Weder sie noch die Kinder seien unvorsichtig mit dem Feuer
umgegangen.
Schließlich kommt Amtmann Wehber zu dem Ergebnis, das die Brandursache sich
nicht feststellen lässt. Brandstiftung oder böswillige Absichten der Abgebrannten
schließt er aus - die Familie habe außer den beiden Kühen alles verloren und das kleine
Haus sei in der Brandcasse nur niedrig versichert. Abschließend befürwortet er die
Auszahlung der Versicherungssumme von 100 Thalern an den Neubauern Hinrich
Christoph von Fintel durch die Bremen-Verdensche Brandcasse zu Stade.
Außer dieser alten Akte gibt es noch einen seltenen, weiteren Zeugen, der von diesem schlimmen Ereignis noch heute berichtet: Es ist
der Setzbalken des neuen Hauses, das Hinrich Christoph von Fintel nach dem Brand 1835 an gleicher Stelle wieder errichten ließ. Als
ständige Erinnerung und Mahnung an das Unglück, das seinen Familie so hart traf, ließ er nach dem Segensspruch in den Balken
eingravieren: [Dieses Haus] ist Abgebrant den 12ten August 1835.
Allerdings findet man diesen alten Setzbalken nicht mehr auf der alten Hofstelle am „Moorflath“ im Norden von Schwalingen. Das
Haus wurde von einem späteren Besitzer nach der Schwalinger Verkoppelung Mitte des 19.Jahrhunderts in den Westen des Dorfes versetzt,
auf die „Röpshöhe“. Hier ziert der alte Setzbalken mit dem Segensspruch und der Erinnerung an den Brand von 1835 noch immer die
Giebelseite des Hauses und zeugt von dem Unglück vor fast 180 Jahren.
Der Platz der alten Hofstelle von Hinrich Christoph von Fintel blieb über viele Jahrzehnte unbebaut. Die Parzelle wurde zur Wiese. Heute
steht dort das Haus Schwalingen No. 106.
Aus alten Akten
des Heidedorfes Schwalingen
A A A