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Ob die Grauener dem Rat des Kanzlers der schwedischen Regierung
zu Stade gefolgt sind ? Darüber gibt es bisher keine Nachrichten. Aber
sollten sie sich dazu entschlossen haben, wäre es bestimmt eine
zeitraubende und auch teure Angelegenheit geworden. Denn die Erste
Instanz der schwedischen Gerichtsbarkeit in all ihren norddeutschen
Provinzen war das Tribunal zu Wismar in Pommern...
In jedem Fall hat sich dieser Streit zwischen den Schwalingern und
den Grauenern tief in die Erinnerung der Eingesessenen eingegraben.
Noch heute können die Alten im Dorf Schwalingen erinnern, dass ihre
Vorfahren von einem solchen Zerwürfnis zwischen den Dorfschaften zu
erzählen wussten - nur, der Grund dafür, der ist heute nicht mehr
bekannt...
Es war nämlich der Überlieferung nach so, dass über viele, viele Jahre
die Schwalinger mit den Grauenern verfeindet waren und ihnen nicht
erlaubten, ihren Weg durch die Schwalinger Gemarkung zu nehmen. Und
so lauerten sie ihnen auf, wenn die Grauener des Sonntags den geraden
Weg von ihrem Dorf zum Gottesdienst in der Kirche St.Bartholomäus zu
Neuenkirchen nehmen wollten - denn der führte diese direkt durch das
Dorf Schwalingen. Es soll dann meist sehr handgreiflich zugegangen und
auch ernsthaft geprügelt worden sein. Bis dann die Grauener tatsächlich
einen weiten Umweg an den Grenzen der Schwalinger Gemarkung entlang
in Kauf nahmen...Es soll sogar für lange Zeit der direkte Weg von
Schwalingen nach Grauen unterbrochen gewesen sein.
Vielleicht sind diese Erinnerungen der letzte Nachhall des schweren
Streites aus dem Jahre 1684/1685 um die Mastungsgerechtigkeiten im
Grauener Holz? Möglich wäre es.
Und noch etwas ist nachzutragen. Das älteste überlieferte
Forstregister des Amtses Rotenburg, die 'Specificatio der im Amte
Rotenburg vorhandenen Holzungen', wurde gegen Ende der schwedischen
Herrschaft in den Herzogtümern Bremen-Verden angelegt, im Jahre
1716/1717 - also gut 30 Jahre nach der beschriebenen Streitsache.
In diesem Register ist zu den in der Vogtei Schneverdingen
vorhandenen Holzungen zu finden, dass es noch zu dieser Zeit in der
Gemarkung der Dorfschaft Schwalingen eine kleine Holzung gab. Sie war
nur 1/2 Stunde Weges im Umfang groß und bestand aus altem Eichen - das
wird die Holzung sein, auf die die Grauener in ihrer Bittschrift an die
schwedische Regierung zu Stade hingewiesen haben. Und auch für die
Gemarkung der Dorfschaft Grauen wird eine Holzung ausgewiesen. Sie ist
etwa doppelt so groß wie die der Schwalinger, nämlich 1 Stunde Weges im
Umfang - und ist ebenfalls ein alter Eichenwald - um die
Mastgerechtigkeit in ihm wird der Streit entbrannt sein.
Um 1770, also nochmals gut 50 Jahre später, die Herzogtümer Bremen-
Verden sind inzwischen Teil des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg,
erstellen die Ingenieur-Offiziere der Kurhannoverschen Armee in Auftrag
des Kurfürsten eine genaue Karte seines Kurfürstentums., die
'Kurhannoversche Landesaufnahme'. Sie gilt auch heute noch als sehr
zuverlässig in der Darstellung der Dörfer und Landschaften.
Auf dem Kartenblatt, das die Dörfer Schwalingen und Grauen und
ihre Umgebung zeigt, sind keine Waldstücke mehr verzeichnet. Die
Landschaft zwischen den beiden Dörfen besteht nur noch aus Heide- und
Sandflächen, Mooren, einigen Ackerfluren nahe der Dörfer. Wenige kleine
Haine finden sich noch in den Niederungen entlang der Bäche.
Südlich von Grauen aber, in Richtung Schwalingen gelegen, ist auf der
Karte ein Flurname überliefert, der daran erinnert, dass es hier in früherer
Zeit einmal eine Holzung gegeben hat: 'beim Holtz Sieck' ist da zu lesen,
mitten in Heideflächen - das 'Grauener Holz'?
Der alte Streit zwischen den Schwalingern und den Grauenern von
1684/1685 um die Holz- und Mastgerechtigkeiten im 'Grauener Holz' hatte
sich also 80 Jahre später auf 'natürliche' Weise erledigt...
Wer die Streitsache in den Originaldokumenten nachlesen möchte,
findet die Akte im Niedersächsischen Staatsarchiv zu Stade.